Deutschland muss maximal mutiger werden

Ein Gastbeitrag von David Reger, Gründer und CEO von Neura Robotics.

Wir brauchen wieder Mumm und echte Visionen, damit Deutschland auch künftig ein bedeutender Wirtschaftsstandort bleibt.

Es ist gerade vier Jahre her, dass ich mich in einem persönlichen Befreiungsschlag vom Innovationsstau
der Automationsbranche verabschiedet habe. Ich wollte eine kognitive Robotik entwickeln, die endlich in allen Bereichen des täglichen Lebens zum Einsatz kommen kann, weil sie autonom und vorausschauend agiert. Gut, dass ich mit meiner Vision nicht zum Arzt gegangen war, wie Helmut Schmidt es den Deutschen einst empfahl. 2019 gründete ich NEURA Robotics und im Juni 2022 haben wir auf der
Automatica in München den weltweit ersten serienreifen kognitiven Roboter MAiRA präsentiert. Begleitet
wurde MAiRA von über 60 weiteren Roboter-Entwicklungen „made by“ NEURA. Und jetzt wird es politisch: Es ist der chinesischen Begeisterung für Zukunftstechnologien zu verdanken, dass NEURA Robotics das nötige Startkapital zur Verfügung stand. Aber warum musste ich für die Umsetzung meiner Ziele überhaupt auf chinesisches Geld zurückgreifen, wo ich doch in einem Land gestartet bin, in dem
2020 über 174 Milliardäre ihren Wohnsitz hatten? Zum Vergleich: Nur in den USA, Indien und in China leben mehr Milliardäre als in Deutschland.

Deutschland muss wieder die Quelle echter Innovationen werden

Ich meine Quantensprünge von weltbewegender Größenordnung, wie einst das Automobil, oder den Transrapid. Natürlich gibt es hierzulande Visionäre. Doch wie hoch ist die Bereitschaft, deren Visionen !nanziell nachhaltig zu unterstützen? Warum investieren Deutsche lieber in Maschinen als in Ideen? Es ist doch gerade das Visionäre, das ausreichend !nanzielle Förderung benötigt, um in hart umkämpften Märkten Fuß fassen zu können. Facebook & Co. waren ja auch nicht vom ersten Tag an Weltstars.

Taugt das Silicon Valley wirklich als Vorbild?

Erst kürzlich habe ich das sagenumwobene Tal in Kalifornien besucht – und hatte auf dem Rückweg viel Zuversicht im Gepäck. Denn im Silicon Valley herrscht bedingungslose Softwaregläubigkeit. Hardware ist Nebensache. Mit kritischen Fragestellungen – essenziell für nachhaltigen Fortschritt – tut man sich schwer. Hauptsache Meta! Ethische Überlegungen sind am Geburtsort von Google & Co. auch eher zweitrangig.
Mit diesen Beobachtungen im Hinterkopf kehrte ich nach Deutschland zurück – wenige Tage bevor Elon
Musk den etwas wackeligen Tesla-Roboter vorstellte. Und – ganz schwäbisch – wurde mir bewusst: Wir können alles – außer Hochdeutsch. Wir sind sowohl das Land der Dichter und Denker als auch der Ingenieure. Software können wir, aber eben auch Maschinenbau auf höchstem Niveau. Die Chinesen
kopieren uns? Dann sorgen wir doch dafür, dass ihnen die Vorlagen nicht ausgehen! Und für Zukunftstechnologien braucht es ein ethisch sensibles Umfeld. Es geht ja darum, die Gesellschaft unter Beachtung sozialer und volkswirtschaftlicher Aspekte neu zu gestalten. Merken Sie was?

Das Handelsblatt titelte im Juli 2022: „Der Roboter als Retter?“

Der Artikel umriss eine visionäre Strategie gegen „Arbeiterlosigkeit“. Und ja – kognitive Robotik steht als Lösung schon bereit. Roboter wie MAiRA agieren dank innovativer Sensorik und künstlicher Intelligenz sicher an der Seite des Menschen. Diese Roboter können sehen, hören und tasten und sind je nach Training in der Lage, auch Facharbeit zu übernehmen. Mit „4NE-1“ haben wir bereits einen humanoiden Roboter vorgestellt – übrigens wenige Tage vor der Präsentation des Tesla-Roboters. Die Gründe sind pragmatisch: Nur ein „Zweibeiner“ kann sich in einem für Menschen gemachten Umfeld 100%ig bewegen. Ich behaupte, wir sind den Amerikanern derzeit in Sachen Robotik voraus. Nutzen wir die Chance! Im Umfeld dieser Industrie bieten sich – ähnlich wie beim Automobil – unendliche Chancen für Zulieferer,
Spezialanwendungen, Softwareentwickler und Systemdienstleister. Auch wenn es bis zum humanoiden
Roboter als Allrounder noch ein weiter Weg sein wird – nicht aus technologischer Sicht, sondern aufgrund der vielen offenen ethischen Fragestellungen.

Wir erleben eine Zeit, in der ausländische Investoren nur noch zögerlich in Deutschland investieren wollen.

Das ist eine Chance und die Gelegenheit, mit deutschem Geld das gigantische technologische Potenzial und den Innovationsgeist unseres Landes zu heben. Ich erlebe, dass dies möglich ist, denn NEURA Robotics steht kurz vor dem Abschluss der nächsten Finanzierungsrunde, wo auch die führenden deutschen Investoren mitbieten.

Der Beitrag erschien zuerst im Handelsblatt Journal im November 2022.